Autobahn gesperrt? Smart zum Ziel
Im Rückspiegel betrachtet schaut unsere Branche aus wie eine breite, mehrspurige Autobahn. Durch die Windschutzscheibe schaut es aktuell jedoch nach einer Sperre aus. Wir haben uns bei unseren Partnern umgehört und gefragt, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen. Und siehe da: Sie haben smarte Umwege und neue Pfade entdeckt, die trotzdem zum Ziel – sprich Unternehmenserfolg – führen.
Das BMW Group Werk Steyr ist der größte Motorenstandort der BMW Group. Jedes zweite Fahrzeug der BMW Group ist mit einem Motor – einem „Herz“ – aus Steyr unterwegs.
„Eine große Stärke ist, dass wir hier nicht nur Motoren produzieren, sondern mit dem Entwicklungszentrum am Standort auch Innovationen schaffen“, sagt Geschäftsführer Klaus von Moltke.
Zudem hielt das Werk die Motorenproduktion 2024 im Vergleich zu 2023 konstant auf 1,2 Millionen Stück. Wie kommt das? Das Schlagwort laut von Moltke heißt Technologieoffenheit.
In Steyr fährt BMW mit Verbrenner, Hybrid und E-Antrieb „dreibeinig“, der gesamte Konzern sogar „vierbeinig“, wie von Moltke erklärt: „2028 wird die BMW Group ein Fahrzeug mit Wasserstoff-Brennstoffzelle auf den Markt bringen.“ Außerdem setzt BMW mit HVO100 auf 100-prozentigen Biodiesel. Auch das ist gelebte Technologieoffenheit, sagt der CEO: „Wir glauben, dass jede Technologie zum Einsatz kommen soll, die CO2 in der Individualmobilität reduzieren kann.“
Im Spannungsfeld zwischen zwei Welten sieht sich auch AC-Beirat Peter Bernscher, stv. Vorstandsvorsitzender der POLYTEC GROUP:
„Auf der einen Seite steht der Verbrennungsmotor. Auf der anderen Seite die neue Mobilität – innovativ, elektrisierend und voller Chancen.“
Die POLYTEC GROUP verfolge eine Fast-Follower-Strategie, in der sie bewusst auf Investitionen achte und nicht kopflos vorpresche. „Die Märkte sind aktuell sehr unruhig – und genau deshalb ist es wichtig, Risiken klug zu steuern“, ergänzt Bernscher. „Gleichzeitig schauen wir gezielt auf unsere echten Stärken: Bei ausgewählten Technologiethemen rund um Elektrofahrzeuge oder bei innovativen Kunststofflösungen außerhalb der Automobilbranche. Das ist ein zentraler Teil unserer Zukunftsstrategie, mit der wir neue Industriezweige erschließen.“
Diversifizieren, flexibel und schnell reagieren, neue Märkte erschließen: Auch andere heimische Zulieferer verfolgen diese Strategie. Thomas Bründl, Geschäftsführer von starlimsterner und ebenfalls AC-Beirat, drückt es so aus:
„Der alte weise Spruch ‚Alle Wege führen nach Rom‘ ist heute aktueller denn je. Der Weg in neue Märkte wird uns helfen, weiteres Wachstum zu erzielen. Innovation und Digitalisierung sind dafür wichtige Werkzeuge.“
Neo-AC-Beirat und CEO der Aspöck Systems GmbH Karl Aspöck hält Wachstum um jeden Preis nicht für die Lösung. Flexibel und schnell Veränderungen erkennen und darauf reagieren aber schon.
„Das hört sich wie eine typische Floskel an. Aber auch Zeiten wie diese bieten uns immer wieder die Möglichkeit, neue Schwerpunkte zu setzen, um stark schwankende Bereiche zu kompensieren“, sagt er und meint damit ungenutzte interne Potenziale.
Mit der unklaren Zoll- und Handelspolitik des US-Präsidenten haben naturgemäß alle keine Freude. Trotzdem ist die Haltung dazu relativ entspannt. Peter Bernscher sieht die eigentlichen Risiken für POLYTEC woanders: „Unsere Kunden und der gesamte Weltmarkt müssen sich komplett neu aufstellen, weil sich die Handelsbeziehungen grundlegend verändern. Das geht natürlich nicht spurlos an uns vorbei. Was das Ganze schwierig macht: Fast täglich kommen neue Entwicklungen. Momentan fahren wir – wie viele andere auch – sprichwörtlich auf Sicht.“
Genau wie Thomas Bründl ist Bernscher der Meinung, dass ein Handelskrieg niemandem helfe, am allerwenigsten dem einzelnen Menschen. Bründl findet klare Worte: „Man sieht, wie wichtig Handelsabkommen sind, um Verunsicherungen zu vermeiden. Verunsicherungen sind Gift für kalkulierbare Geschäftsbeziehungen.“
Vor der Konkurrenz aus China fürchten sich weder BMW noch die oberösterreichischen Zulieferer. Sie sehen China eher als Chance, die sie teilweise auch schon ergriffen haben. „Unsere Antwort heißt: Neue Klasse“, sagt BMW-Steyr-Chef Klaus von Moltke. „Eine völlig neue Fahrzeuggeneration. Mit einem Sprung in der E-Mobilitätstechnologie, einem neuen, digitalen Nutzer-Erlebnis und einem großen Fokus auf Zirkularität.“ Das erste Modell der Neuen Klasse, den neuen iX3, bringt BMW im nächsten Winter auf den Markt. Außerdem produziert BMW bereits in China, und zwar „local-for-local“. Auch starlim-sterner hat im chinesischen Nantong bereits einen Standort in Betrieb.
Die POLYTEC GROUP sieht China als Herausforderung und Chance zugleich. „Da ist gerade viel in Bewegung und wir bleiben dran, um die richtigen Chancen zur richtigen Zeit zu nutzen“, erklärt CCO Peter Bernscher. Steigende Importe aus China nach Europa haben direkte Auswirkungen auf die Abrufe und Produktion bei POLYTEC, gibt er zu. Aber es entstehe auch etwas Neues: „Immer mehr chinesische Autobauer kommen nach Europa und bauen hier Werke. Das ist eine spannende Möglichkeit für uns, neue Partnerschaften zu knüpfen und unser Geschäft weiterzuentwickeln. Entscheidend wird sein, ob diese Hersteller ihre angestammten Zulieferer aus China mitbringen – oder ob sie auf lokale Partner wie uns vertrauen.“ POLYTEC hat dafür die vom Automobil-Cluster im Vorjahr organisierte Supplier-Konferenz mit BYD gut genutzt.
Auch Karl Aspöck betont, dass die Nähe zum Kunden und die kurzen Wege im Vergleich zu chinesischen Zulieferern ein Vorteil bleiben: „Chinesische Hersteller müssen in Europa investieren, um Marktanteile zu erreichen. Dadurch steigen auch ihre Kosten. Das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere die Sicherstellung des PCF (Product Carbon Footprint), gewinnt zunehmend an Bedeutung. Infolgedessen wird es schwieriger, Direktlieferungen zu attraktiven Preisen anzubieten. Lokale Fertigung wird dadurch die Lösung bleiben.“
Die heimische Industrie scheint also einiges richtig zu machen. Die Analyse der aktuellen Situation von Michael Strohschneider von der EFS Unternehmensberatung lässt zumindest diesen Schluss zu. „Das Verbrennerverbot der EU zwingt die Branche, sich schnell auf Elektromobilität umzustellen. Durch die Konkurrenz aus China müssen Europas Hersteller ihre Modelle nicht nur technisch aufrüsten, sondern auch wettbewerbsfähige Preise bieten.“ Strohschneider rät zu spezialisierten strategischen Partnern und flexiblen Produktionsanlagen, damit Verbrenner- und Elektroautos auf einer Linie produziert werden können. Angesichts Donald Trumps Zollpolitik glaubt der Unternehmensberater, dass europäische Unternehmen mehr Wertschöpfung in den USA generieren müssen. Was bedeuten kann, auch Produktionslinien in die Staaten zu verlegen.
Für die POLYTEC GROUP ist das Thema Rüstungsindustrie durchaus interessant. „Mit der Initiative ‚ReArm Europe‘ sowie der angespannten Sicherheitslage in Europa schauen wir jetzt ganz bewusst in diese Richtung“, meint Peter Bernscher. „Wir bringen ein breites Technologiespektrum für vielfältige Anwendungsmöglichkeiten mit. Natürlich muss das auch wirtschaftlich Sinn ergeben. Hier gilt es, die richtigen Nischen zu identifizieren, in denen wir mit unseren Automotive- und Smart-Plastics-Kompetenzen punkten können.“ Für starlim-sterner Geschäftsführer Thomas Bründl kann die Rüstungsindustrie ein Innovationstreiber bei Grundlagenforschung, Materialentwicklung und Produktion sein: „Die Regulatorik wird zu prüfen sein, in welchen Bereichen wir als österreichisches Unternehmen arbeiten dürfen.“
Alle von uns befragten Unternehmen sind sich in einem weiteren Punkt einig: Europa muss Bürokratie abbauen. „Die EU sollte endlich beginnen, die Stärken der Vielfalt zu nutzen. Durch mehr Eigenverantwortung sollten wir schneller von den Besten lernen. Ähnliches gilt für die österreichische Regierung: Strukturreformen anpacken und ein vertrauensvolles Klima für Investitionen schaffen“, appelliert Bründl. Unternehmen müssten viel Zeit und Ressourcen für administrative Anforderungen aufwenden, kritisiert Karl Aspöck.
Bleibt noch ein Thema: Forschung und Entwicklung. Fördertöpfe sind leer, angesichts von Budgetsanierung und Sparpaketen wird das auch noch länger so bleiben. Was bedeutet das für die Unternehmen? Bründl empfiehlt: „Selektiv und effizient fördern, damit Innovation und Wettbewerbsfähigkeit nicht leiden. In unserer Unternehmensgruppe setzen wir die verfügbaren Gelder sehr sorgsam in den Innovations- und Digitalisierungsprojekten ein.“ Für Karl Aspöck ist klar: „Wir müssen das Beste aus unseren eigenen Ressourcen und Fähigkeiten herausholen.“
AC-Beirätin Carina Schlögl sitzt als stellvertretende Geschäftsführerin im AIT Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen bei Forschung und deren Förderung an vorderster Front. Ein Patentrezept, wie mit den aktuellen Herausforderungen am besten umzugehen ist, hat sie nicht, aber:
„Es braucht vor allem Flexibilität und Resilienz. Flexibilität entsteht nur dort, wo Rahmenbedingungen schnell und effizient angepasst werden. Resilienz entsteht durch Innovationskraft, Verständnis von Zusammenhängen, Unabhängigkeit von einzelnen Lieferanten und vertrauensvolle und umfassende Kooperationen.“
Schlögl will alte Denkmuster wie „das haben wir immer schon so gemacht“ endlich umkrempeln: Letztendlich brauche es bei einem volatilen Umfeld eine flexible, pragmatische und anpassungswillige Forschungslandschaft. „Es müssen schlagfertige Innovationen mit Mehrwert für Österreich bzw. Europa im Fokus stehen und in sich selbst erstarrte Projektpläne der Vergangenheit angehören.“ Ambidextrie ist das Schlagwort, wie wir uns laut Schlögl für die Zukunft wappnen können – also die gleichzeitige Fähigkeit, Bestehendes effizient zu optimieren und radikal Neues zu entwickeln. „Das ist für mich alternativlos. Nur wenn Effizienzsteigerung und Innovationskraft parallel und gleichberechtigt verfolgt werden, können wir nachhaltig erfolgreich sein.“
Wir haben Michael Strohschneider von der EFS Unternehmensberatung und Carina Schlögl vom AIT Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen gefragt, welche Strategien sie empfehlen.
Strategische Ausrichtung auf Elektromobilität und nachhaltige Technologien Die Elektromobilität ist das zentrale Zukunftsthema der Automobilindustrie. Angesichts des EU-weiten Verbrennerverbots ab 2035 müssen europäische Unternehmen in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen und alternativen Antriebstechnologien investieren. Wir nehmen im Markt wahr, dass aktuell Fahrzeugproduzenten stark auf flexible Produktionsstraßen setzen, um die Bedarfsverschiebung von Verbrenner- zu Elektrofahrzeugen gut steuern zu können.
Die Globalisierung der Lieferketten hat in den vergangenen Jahren zu Anfälligkeiten geführt, die sich in Form von Engpässen und steigenden Kosten bemerkbar gemacht haben. Um resilienter gegenüber globalen Krisen oder geopolitischen Spannungen zu werden, sollten europäische Automobilunternehmen ihre Lieferketten diversifizieren. Entscheidend dafür sind Mehr-Lieferanten-Strategien und Transparenz von Kostentreibern in den Verträgen. In volatilen Märkten ist es essenziell, bei signifikanten Indexschwankungen Preise transparent anpassen zu können. Zeitraubende Nachverhandlungen, die dazu führen können, dass Lieferungen ausgesetzt werden, sind zu vermeiden.
Eine wichtige Strategie ist die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen innerhalb der Branche, aber auch mit Technologieanbietern. Ein strategisch gut gewähltes Partnernetzwerk beschleunigt sowohl den technologischen Fortschritt als auch den Zugang zu kostengünstigen Produktionsmethoden und spart dabei wertvolle eigene Ressourcen. Das zeigen bereits Kooperationen mit Tech-Giganten, etwa beim autonomen Fahren oder bei künstlicher Intelligenz.
Markenpflege, Technologieführerschaft und Nachhaltigkeit bleiben entscheidende Differenzierungsmerkmale auf dem Markt. Markenimage und Innovationskraft als Komponenten zur Steigerung der Kundenbindung transparent zu kommunizieren, ist ein wesentlicher Aspekt.
Der Transfer von Forschungsergebnissen in die industrielle Umsetzung erfolgt oft viel zu langsam. Viel zu oft bleiben geniale Ideen oder sogar erfolgreich erprobte Konzepte in der Schublade. Der Problematik des „Europa-Paradoxons“ – also eine ausgezeichnete Grundlagenforschung mit teilweise mangelndem Transfer in die wirtschaftliche Verwertung – müssen wir uns Tag für Tag entgegenstellen.
Es braucht mehr Mittel und den Willen, das „Valley of Death“ von Innovationen zu durchschreiten. Projekte mit hohem TRL (Technology Readiness Level) brauchen entsprechende Finanzierungen und unkomplizierte Rahmenbedingungen. Die vielgepriesene Startup-Mentalität muss noch viel deutlicher unterstützt und gefördert werden.
Zielgerichtete, langfristige Kooperationen und konkreter Austausch sind unumgänglich. Die Information „was braucht es gerade wirklich“ muss von der Industrie kommen und klaren Widerhall in der Forschungslandschaft – zumindest der angewandten – finden.
Der Mut zu Neuem und der Wille, die europäische Industrie in einer Spitzenposition zu halten, sind entscheidend. Die Exzellenz und Leidenschaft unserer Mitarbeitenden, innovative Freiräume und Kooperation auf einer Vertrauensbasis runden die Strategie ab.
Dazu gehört, Projekte aus unterschiedlichen Förderbudgets zu bearbeiten, ein breites Spektrum von der Grundlagenforschung bis zu produktnahen Fragestellungen zu bedienen und umfassende Vernetzung mit nationalen und internationalen Key-Playern.
Eine enge Vernetzung in alle Richtungen – sowohl mit der Industrie als auch mit der Politik – ermöglicht den Transfer von Forschungsergebnissen in reale Innovationen.