06.10.2020
LIT Factory der JKU Linz und Kunststoff-Cluster als Keyplayer

Digitale Transformation bringt Wertschöpfung

Univ.-Prof. DI Dr. Georg Steinbichler im Interview zu den Themen digitale Transformation, Vernetzung und digitaler Kunststoff-Marktplatz.

Univ.-Prof. DI Dr. Georg Steinbichler © ENGEL
Univ.-Prof. DI Dr. Georg Steinbichler © ENGEL

Welche Chancen bietet die Digitalisierung für Technologien der Kunststoffindustrie?

Die Digitalisierung hat die Art und Weise wie wir leben, lernen und arbeiten bereits grundlegend verändert. Das Schlagwort „Digitalisierung“ kommt heute auch sehr oft in politischen Reden vor – Aussagen über damit verbundene Maßnahmen und konkrete Schwerpunktsetzungen fehlen aber zumeist. Vielfach stecken dahinter Gedanken zur effizienteren Gestaltung von Abläufen sowie Schaffung von Wettbewerbsvorteilen, Aufbau neuer Geschäftsmodelle und Automatisierung von Prozessen. Die Konstellation eröffnet große Chancen und Potenziale auch für die Kunststoffindustrie und vor allem die kunststoffverarbeitenden Unternehmen. Es geht heute vor allem darum, den Menschen datenbasierte Informationen für die Erfüllung einer Aufgabe im Unternehmen und entlang der Wertschöpfungskette nutzbringend und bedienerfreundlich bereitzustellen. Wesentlich ist dabei eine maßgeschneiderte Aufbereitung von aus Daten gewonnenen Erkenntnissen, die für treffsichere Entscheidungen und eine Problemlösung benötigt werden. Damit gewinnt auch die Integration von KI-Technologien wie z.B. maschinelles Lernen an Bedeutung, die die Simulation der Realität sowie das Erfahrungswissen von Menschen um zusätzlich aus Daten generierte Informationen erweitert. Unternehmen eröffnet die digitale Transformation die Möglichkeit, sich simultan in der digitalen als auch in der realen Welt zu bewegen. So werden Unternehmen zunehmend nicht nur mit realen Produkten, sondern auch mit Daten eine Wertschöpfung erzielen.

Was bedeutet horizontale und vertikale Vernetzung in der Kunststoffindustrie?

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Digitalisierung ist die Vernetzung der Produktions- mit der Geschäftsebene. Dabei schafft die horizontale Vernetzung die Voraussetzungen für einen Datenaustausch zwischen Maschinen, Anlagen, Peripheriegeräten, IoT-Equipment und Sensoren über standardisierte Schnittstellen und Datenformate. Die vertikale Vernetzung ermöglicht die Nutzung von Produktionsdaten für übergeordnete Geschäftsprozesse und Optimierungsmethoden.

Was ist der Status quo bei heimischen Kunststoffunternehmen? Sind sie „Fit for future“?

Die digitale Transformation ist allgegenwärtig. Produkte werden durch den globalen Wettbewerb auch in der Kunststoffindustrie immer schneller commodisiert. Vielen Unternehmen ist bewusst, dass sie ihre Geschäftsmodelle anpassen und die Wertschöpfung über die klassische Produktinnovation hinaus sichern müssen. Vor allem kleinere Unternehmen sind aufgrund der Informationsflut rund um das Thema überfordert bzw. verunsichert, zeitgerecht die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aus diesem Grund ist eine seriöse Beratung durch Experten auf dem Gebiet und das Netzwerken innerhalb und über die Branche hinweg besonders wichtig. Kleine können von großen Unternehmen lernen, die zumeist Vorreiterrollen übernehmen. Bei einer Schwerpunktsetzung gilt es aber stets kritisch zu hinterfragen, ob man mit einer Maßnahme intern im Unternehmen oder extern bei Kunden einen entsprechenden Nutzen stiften und damit auch Geld verdienen kann. Der Kunststoff-Cluster bietet hier auf breiter Basis Unterstützung an. Aber auch das Strategische Wirtschafts- & Forschungsstrategie #UpperVision2030 wird auf diesem Gebiet wichtige Impulse bringen.

Sie haben den digitalen Kunststoff-Marktplatz erwähnt. Wie funktioniert dieser in der Praxis?

Die horizontale und vertikale Vernetzung kann vorteilhafterweise über Unternehmensgrenzen hinweg durch Kooperation mit Partnern entlang der Wertschöpfungskette erweitert werden. Mit Schaffung dazu einsetzbarer Datenplattformen (digitale Marktplätze) können Kunden gemeinsam digitale Services entlang der Wertschöpfungskette von der Produktentwicklung, Werkzeugkonstruktion und -bau, Prozesssimulation, Anlageninbetriebnahme, Prozessoptimierung und -überwachung bis hin zur Wiederverwertung von Produkten und Werkstoffen angeboten werden. Eine solches Netzwerk – als Allianz von Maschinenbauern – bietet z.B. ADAMOS. Damit werden beteiligte Unternehmen unterstützt ein digitales Portfolio für ihre Kunden anbieten zu können. Derzeit arbeiten wir an der JKU mit Partnern an den Grundlagen zur Schaffung standardisierter Datensätze, um z.B. eine solche Datendurchgängigkeit entlang der Wertschöpfungskette im Spritzgussbereich zu schaffen.

Stichwort Forschung: Wo werden in den kommenden Jahren Ihre Schwerpunkte liegen?

Der Aufbau der Pilotfabrik Linz Institute of Technology – LIT Factory – schreitet durch die sehr gute Unterstützung von Stadt Linz und Land Oberösterreich sowie den 25 nationalen und internationalen Firmenpartnern voran. Diese wirtschaftsnahe und offene Infrastrukturplattform für die smarte Kunststoffverarbeitung von der Bauteilentwicklung bis zur Wiederverwertung bietet die Chance, gemeinsam ganzheitlich und disziplinenübergreifend zu innovieren, demonstrieren und zu lehren. Zusätzlich müssen die angesprochenen Datenplattformlösungen mit Partnern entwickelt und erprobt werden. Im Fokus stehen dabei die Vernetzung zum Wohl von Menschen, Umwelt und die Unterstützung der Wirtschaftsregion bei der Umsetzung von Digitalisierungsfragen in der Kunststofftechnik. Mit der Beteiligung am neu gegründeten COMET Zentrum CHASE an der JKU und TU Wien konnten in Kooperation mit der LIT Factory bereits erfolgreich zahlreiche Projekte auf dem Gebiet der Prozessdigitalisierung und dem Recycling von Kunststoffen mit Unternehmenspartnern gestartet werden. Die LIT Factory und die Institute der Kunststofftechnik an der JKU kooperieren auch erfolgreich mit den COMET Zentren Pro- 2Future, SCCH und Wood K plus.

Univ.-Prof. DI Dr. Georg Steinbichler
Vorstand des Institutes für Polymerspritzgießtechnik und Prozessautomatisierung (IPIM), Interim. Vorstand des Institutes für Polymerextrusion und Compounding (IPEC) und Sprecher der LIT Factory.

Univ.-Prof. DI Dr. Georg Steinbichler war am 29. September 2020 auch Gastreferent beim
>> Treffpunkt Digitalisierung #3