Führung ist kein Salsa-Solo
Führung war einmal Chefsache. Top-down, autoritär. Ein Mindset von vorgestern! Aber wie führt man heute: Salsa oder Walzer? Und wie prägt Führung die Unternehmenskultur? Eine leistungsfreundliche Führung braucht vor allem eines: integre Menschen – und eine HR, die nicht nur begleitet, sondern Regie führt.
Wie hat sich „Führen“ verändert? Welche Führungsmantras dürfen wir getrost abschütteln – und was zeichnet einen echten Leader aus? Damit sich am Ende des Tages niemand mehr fragen muss: Wer führt hier eigentlich wen? Judith Muster, Maike van den Boom und Marcel Aberle waren Keynote-Speaker bei der Zukunft.HR am 10. und 11. September im Stift St. Florian/OÖ. Im Vorfeld baten wir die drei zu einem Gespräch und bekamen Antworten aus unterschiedlichen Perspektiven – aus Organisationssoziologie, Glücksforschung und Zukunft. Ein wahrer Linedance kluger Gedanken.
Wo Strukturen keine klare Orientierung geben, wird Führung gebraucht. Bleibt sie aus, regiert die Verunsicherung – Konflikte, Reibungs- und Energieverlust inklusive. Doch auch eine Führung, die gegen die kulturelle DNA arbeitet, stiftet Unfrieden: Es entstehen Spannungen zwischen Soll und Ist, zwischen Anspruch und gelebter Praxis. Das kann zerstören oder der Katalysator für Wandel sein. Stärken oder auch neue Muster anstoßen – allerdings nur, wenn das Umfeld diesen Einfluss als bedeutsam akzeptiert.
Kultur lebt von Menschen, die sie atmen, prägen, mit Haltung füllen. Und sie beginnt nicht erst im Büroalltag, sondern schon beim Recruiting. Unternehmen wie IKEA oder Velux nehmen das ernst: Wer an Bord kommt, bringt den inneren Takt mit – oder eben nicht. Wenn jeder führen darf, heißt das auch: Jeder trägt Kulturverantwortung. Und traut man das den Mitarbeitenden nicht zu, sollte man sich fragen, ob man im richtigen Unternehmen sitzt. Führen ist kein Solo, sondern Ensemblearbeit. Alles andere wäre unskandinavisch.
Mit Blick aus dem Norden stellt sich eine Frage neu: Was meinen wir hierzulande eigentlich mit „Führung“? Was in Schweden als moderne, partizipative, stärkende Führung gilt, wird hier oft als „weichgespülte“ empfunden. Doch Ziel muss sein: Möglichst viele im Unternehmen sollen wirksam werden. Wo Macht hortet und Vertrauen auf Eis liegt, bleibt Beteiligung draußen. Im Norden gilt: Wer Verantwortung nicht teilen will, passt nicht in die Kultur – Fachbilanz hin
oder her.
Vieles hängt dann vom Bauchgefühl und vom Draht zueinander ab. Orientierung? Fehlanzeige. Wer Kultur wirklich verändern will, muss auch am Team rütteln: Manche gehen freiwillig, andere müssen aktiv gegangen werden. Und neue Köpfe bringen frischen Wind.
Der Microsoft-CEO sagte einmal treffend: „All you have to know about change management is in the title – change THE management“. Heißt: Veränderung wirkt nur, wenn man sie durchzieht, nicht nur ansagt.
Führung und Kultur tanzen nicht im Gleichschritt, sondern folgen einem komplexen Wechselspiel. Oft heißt es, Führungskräfte prägen die Kultur – doch die Organisationsforschung zeichnet ein feineres Bild: Führung entsteht situativ dort, wo Unsicherheit herrscht und jemand erfolgreich Einfluss nimmt. Solche Führungsimpulse können die informellen Erwartungen einer Organisation stärken oder auch neue Muster anstoßen – allerdings nur, wenn das Umfeld diesen Einfluss als bedeutsam akzeptiert.
Was unterscheidet eine Führungskraft von einem echten Leader? Aus nordischer Sicht: nichts. Jeder soll sich für das Unternehmen verantwortlich fühlen, egal ob am Fließband oder im Vorstandssessel. Leadership heißt: mutig entscheiden, mit Wissen handeln. Genau darum geht’s. Führung ist kein Titel, sondern ein Tun. Das heißt, jeder im Unternehmen trägt Führungsverantwortung. So wird Leadership zum Kulturmotor – nicht zur Chefsache.
Wer Innovation fordert, muss selbst offen denken. Wer Zukunft gestalten will, braucht Haltung – als CEO, Teamlead oder Start-up-Kapitän. Führung geht voran, ist Richtungsgeberin und kulturelle Speerspitze. Der Klassiker
„Vorbildfunktion“ ist kein abgenutzter Lehrsatz – er ist das Fundament für gelebte Unternehmenskultur.
HR braucht mehr als Personalgefühl – gefragt ist Organisationsverstand und ein Gespür für funktionale Zusammenhänge. Es geht darum, nicht nur Lösungen zu liefern, sondern auch ihre Nebenwirkungen mitzudenken. Flache Hierarchien? Erhöhen oft den Abstimmungsaufwand. Leistungsboni? Gut für Einzelne, heikel fürs Teamgefüge. Wer Organisation gestalten will, muss Wechselwirkungen erkennen – und verstehen, wie Entscheidungen Wellen schlagen.
Nur wer systemisch denkt, entwickelt nachhaltig – statt an Symptomen herumzupolieren.
An der Flanke von Geschäftsführung und Team sorgt HR dafür, dass Menschen sich entfalten können und Organisationen funktionieren. In den Nordics gelingt das, weil HR-Verantwortliche Fingerspitzengefühl für Partizipation, ein klares Equality-Mindset, Kompetenz für Wellbeing und ein Gespür für Kulturentwicklung mitbringen.
Mitgestaltend im TopManagement oder rein administrativ am Rand. Klar ist: HR braucht ausgeprägte Soft Skills, um sich ein Bild davon machen zu können, wo’s hingehen soll. Und die Fähigkeit, die richtigen Menschen zu
finden, Methoden zu wählen, Prozesse zu lenken. Nur so wird aus „begleiten“ echtes Mitgestalten
Die Herausforderung ist: Kultur ist kein Produkt einzelner Personalentscheidungen – sie entsteht im Zusammenspiel von Strukturen, Regeln und Spielräumen. HR wird zur Kulturgestalterin, wenn sie über Recruiting hinaus das große Ganze sieht: Wer spricht mit wem worüber? Welche Prozesse wirken wie? Man kann brillante Köpfe holen – wenn Prozesse zäh sind und Hierarchien blockieren, verpufft jedes Potenzial. HR wird zur Organisationsarchitektin, wenn sie erkennt, wie Rollen, Regeln und Wege sich gegenseitig stärken – oder leise ausbremsen.
Die einfache Antwort: Indem sie es tut. HR muss wählen, ob sie verwaltet oder mitgestaltet. Wer Kultur prägen will, braucht Neugier auf Zwischentöne, Mut zur Einmischung und einen festen Platz am Strategietisch. Kultur entsteht nicht in Formularen, sondern im Feingefühl. Gerade im Recruiting wird Haltung sichtbar: Wollen wir den brillanten Zahlendreher – oder den leisen Teamarchitekten mit Wirkung im Miteinander? Fragen wir nach Skills – oder
nach Sinn? Auch in der Talententwicklung zeigt sich Kultur: Ist Talent, wer konstant liefert – oder das Team zum Leuchten bringt? HR kann an vielen Punkten prägen: bei Auswahl, Feedback, Sprache. Geht es um Einzelerfolge oder um den gemeinsamen Puls? Wer gestalten will, muss Haltung zeigen. HR kann mehr sein als Support. Sie kann treibende Kraft sein. Für Kultur, die lebt. Und überlebt.
Kultur lässt sich nicht verordnen, sie entsteht durch Haltung, Verhalten, Vorbilder. Oft übersehen: Strukturen sind der stille Co-Autor jeder Kultur. Vorbildwirkung ist wichtig – doch ohne passende Rahmenbedingungen bleibt Wandel bloße Kulisse. Besonders bei Innovation zeigt sich das deutlich: Solange sie im Silo stattfindet, bleibt sie isoliert. Erst durch strategische Verankerung, etwa über Foresight, verändert das die Kultur spürbar. Kurz gesagt: HR kann Kultur nur mitgestalten, wenn Soft Skills und harte Strukturen zusammenspielen.
Führung wurde lange Zeit fälschlicherweise mit Hierarchie gleichgesetzt. Heute erkennen wir: Hierarchie schafft generalisierte Folgebereitschaft, aber situative Führung ist eine zusätzliche Leistung, die jedes Organisationsmitglied erbringen kann.
Führung ist menschlicher, näher, mutiger geworden – und zugleich tragfähiger. Wenn ich von Österreich nach Schweden blicke, wünsche ich mir: mehr Fürsorge, Zutrauen und Führung mit Rückgrat und Rückendeckung mit echter Wertschätzung. Nur so trauen sich Menschen, wirklich mutig zu handeln. Es geht nicht ums gegenseitige Übertrumpfen, sondern um die beste Lösung für das gemeinsame Ziel. Pragmatisch und ohne Zicken.
Früher war klar: oben denken, unten umsetzen. Dann kamen flachere Hierarchien, Outsourcing, größere Teams – und die Führung rückte näher ans tägliche Ringen mit Komplexität. Ab 2010 veränderte die Digitalisierung das Spielfeld: Wissen wurde vernetzt, Kontrolle verflüchtigte sich. Teams wurden temporär, Entscheidungen dezentral. Plattformen übernahmen Entwicklung. Und dann: Corona. Das Bedürfnis nach Homeoffice und Flexibilität stieg. Heute braucht es Führung mit Feingefühl – präsent, vertrauensvoll, jenseits des Sichtbaren. Fazit: Führung ist zum Multiinstrument geworden – fachlich, menschlich, strukturell. Nur: Viele haben nie gelernt, es zu spielen. Umso dringlicher: der Wandel.
Die Organisationssoziologie kennt keine Schulnoten für Führung – sie beobachtet. Führung passiert, wenn in Momenten der Erwartungsunsicherheit jemand vortritt, Richtung gibt – und andere folgen. Im Alltag heißt das: Jemand weist in einem vagen Projekt die Spur, das Team schließt sich an. Oder eine Person schlichtet erfolgreich den Dauerclinch zwischen Abteilungen. Ob das nun „gute“ oder „weniger gute“ Führung war, hängt
von den jeweiligen Zielen und Bewertungskriterien ab – nicht von der Führung selbst.
Sie lässt Raum für Eigenständigkeit, für Ideen, für Andersdenken. Gute Führung kontrolliert nicht, sondern ermöglicht Freiraum. Sie fordert, den eigenen Kopf zu verwenden – auch wenn er anders tickt als jener der Führungskraft.
Das ist nicht „nett sein“, sondern Kern zukunftsfähiger Zusammenarbeit.
Niemand kann alles allein – also gilt es, Verantwortung zu teilen und Menschen zu befähigen. Ein zentraler Wandel: Früher arbeiteten Teams für den Erfolg ihrer Chefs, heute arbeiten Chefs für ihre Teams. Die Rolle wandelt sich: vom
Aufpasser zum Möglichmacher, vom Hierarchen zum Coach – oft auch digital. Gute Führung gibt Orientierung, hört zu, zeigt Haltung und hat die Zukunft im Blick. In Zeiten tiefgreifender Transformation braucht es echte Leader. Sie laden ihr Team ein, mitzudenken, mitzugestalten und treffen dann mutig Entscheidungen, wenn’s drauf ankommt.
Weniger Hierarchie bedeutet nicht weniger Führung – im Gegenteil. Flache Organisationen sind führungsintensiv, weil klassische Machtpyramiden fehlen. Führung passiert heute in alle Himmelsrichtungen: nach oben (Stichwort: „Unterwachung“), zur Seite, nach unten. Das Spannende: Die besten Führenden sind oft gar keine formalen, sie sind nicht selten die Ungekrönten. Die Herausforderung liegt darin, diesen Menschen das nötige Rüstzeug mitzugeben, damit sie in den richtigen Momenten erfolgreich führen können.
Für mich klar: nordisch. Denn das ist der einzige Weg die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Indem wir „das Beste von allen für alle nutzen!“ Dazu benötigt jeder Vertrauen, Freiraum und Mut zum Unperfekten. Mitarbeitende sollen wissen: Es gibt keine Fehler, nur kontinuierliches Lernen. Wichtig ist nur, dass ich Verantwortung übernehme und mich was traue. Diese Haltung ist das Fundament echter Teams. Wenn man das Gefühl hat, sich ständig beweisen zu müssen, entsteht ein Klima des Misstrauens. Dann geht es um Absicherung statt Verbindung, was zu kleinen Machtspielen führen kann, die dem Unternehmen schaden.
Gefragt sind Räume, in denen jeder gesehen wird – ob Vollzeitboss oder Teilzeitkönner mit Kinderabholservice. Es geht darum, Menschen so zusammenzubringen, dass sie einander ergänzen, mittragen, mitdenken. Für das große Wir. Das Spiegelbild von „Me“ ist „We“. Gute Ideen haben keine Hierarchie. Für Machtspiele und starre Hierarchien haben wir in der neuen Arbeitswelt keine Zeit mehr.
Wir stecken mitten im Epochenwandel vom Industrie- ins Digitalzeitalter. Was wir jetzt brauchen, sind keine Verwalter, sondern Menschen mit Vision, Mut und Orientierung. Menschen, die vorangehen, den Kurs mit anderen gestalten und Zuversicht stiften. Genau diese Form von Führung – entschlossen, menschlich, zukunftstauglich – vermisse ich gerade sehr.
Judith Muster, Metaplan
Beraterin, Wissenschaftlerin und Publizistin
Maike van den Boom
Glücksforscherin, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Gründerin von Happy Nordic LeaderShip™ Trainings & Keynote
Marcel Aberle
Keynote Speaker, Dozent und Amazon Bestseller-Autor sowie Trendspotter und Trendforscher