„Glücklich, zufrieden und frei“

So fühlen sich demenzkranke Menschen beim Training mit VR-Brille

Mit einer VR-Kamera nahm die amago GmbH die echten Landschaften auf, um sie dann als 360-Grad-Video in die VR-Brillen einzuspeisen. © amago
Mit einer VR-Kamera nahm die amago GmbH die echten Landschaften auf, um sie dann als 360-Grad-Video in die VR-Brillen einzuspeisen. © amago
Beim Training am Ergometer trugen die Probandinnen und Probanden eine VR-Brille und konnten so durch virtuelle Landschaften radeln. © by Netural GmbH, Volkshilfe GSD GmbH
Beim Training am Ergometer trugen die Probandinnen und Probanden eine VR-Brille und konnten so durch virtuelle Landschaften radeln. © by Netural GmbH, Volkshilfe GSD GmbH
Die Besucherinnen und Besucher des Tageszentrums der Volkshilfe erhielten eine Einschulung in die Benutzung der VR-Brille und der Steuerungsapp. © by Netural GmbH/Robert Hartmann, Volkshilfe GSD GmbH
Die Besucherinnen und Besucher des Tageszentrums der Volkshilfe erhielten eine Einschulung in die Benutzung der VR-Brille und der Steuerungsapp. © by Netural GmbH/Robert Hartmann, Volkshilfe GSD GmbH

14.11.2022

Eine Pilotstudie im Medizintechnik-Cluster der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria testete die Auswirkungen auf demenzkranke Menschen, wenn sie beim Training durch virtuelle Landschaften wandern. Die Ergebnisse des Projekts „VR 4 Mind & Motion“ liegen nun vor und bilden die Basis für mögliche Weiterentwicklungen digitaler Tools im Bereich Gesundheit und Demenz sowie in der Medizintechnik.

Radeln am Donaustrand oder Wandern im Wald – für demenzkranke Menschen oft nicht mehr möglich. Doch mittels 3D-Videos in einer VR-Brille könnten sie in eine Virtuelle Realität (VR) versetzt werden. Das würde ihnen ein gutes Gefühl geben und sie zu körperlicher und geistiger Aktivität animieren. Das war die Idee hinter dem Forschungsprojekt, an dem sich die Netural GmbH, die Volkshilfe Gesundheits- und Soziale Dienste GmbH, das Beratungsunternehmen R’n’B Consulting, die Filmproduktionsfirma amago sowie das gemeinnützige Unternehmen LIFEtool beteiligten – unterstützt vom Medizintechnik-Cluster der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria.

Pilotstudie

Eine Pilotstudie sollte systematisch einen ersten Eindruck der Handhabung, Wirksamkeit und Sicherheit der entwickelten Lösung liefern. Das Studienkonzept wurde bei der Ethikkommission des Landes OÖ eingereicht und positiv bewertet. Vor Beginn der Studie wurde eine Versicherung für die Probandinnen und Probanden für etwaige Schadensfälle abgeschlossen. Außerdem wurden die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer medizinisch begleitet. Ziel war, die Auswirkung von körperlicher Aktivität in virtueller Umgebung von Menschen mit Demenz zu untersuchen. Neun Besucherinnen und Besucher des Tageszentrums Regenbogen der Volkshilfe Gesundheits- und Soziale Dienste GmbH nahmen an der Pilotstudie teil.

Virtuelle Landschaften

„Die Besucherinnen und Besucher trugen beim Training am Ergometer dreimal 20 Minuten lang eine VR-Brille. In visuellen 360-Grad-Videos wanderten sie durch Wald-, Strand- oder Wiesenlandschaften, trainierten dabei ihre Beweglichkeit und ihr Gedächtnis. Das Training könnte den Gemütszustand verbessern und weniger Medikamente erforderlich machen“, sagt Projektleiter Robert Hartmann von der Netural GmbH, die Anwendungen für e-Health und medizinische Technik entwickelt. Elektroden maßen dabei die Auswirkungen auf die Ganggeschwindigkeit und die Herzratenvariabilität. Vor dem Training wurden die kognitiven Leistungen gemessen, nach dem Training dann die kognitiven Veränderungen.

Fragebogen

Die Volkshilfe entwickelte einen Fragebogen, den die Angehörigen bzw. betreuenden Personen sowie die Pflegekräfte ausfüllten. Die Fragen behandelten beobachtbare Veränderungen im Alltag der Tagesgäste, beispielsweise des Aktivitätsniveaus, der Ausgeglichenheit, des Kommunikationsverhaltens und der Freude. „Wir hoffen einerseits, dass die Öffentlichkeitsarbeit und Berichterstattung über das Projekt bei der Enttabuisierung des Themas Demenz hilft. Andererseits können wir uns vorstellen, dass durch den Einsatz dieser Technik die pflegenden Angehörigen und die Pflegekräfte entlastet werden können“, betont Waltraud Schwarz, Bereichsleiterin für Pflege in der Volkshilfe OÖ.

Individuelle Wünsche abgefragt

Die gemeinnützige LIFEtool GmbH entwickelt computerunterstützte Assistenzsysteme für Menschen mit Behinderung. Sie erhob die Anforderungen der Benutzer und befragte die demenzkranken Menschen unter anderem, welchen Videoinhalt sie sich wünschen. Die meisten wünschten sich Wald- und Wiesenwege zu allen Jahreszeiten, aber auch Wanderrouten in den Bergen, belebte Plätze in der Innenstadt und Radwege im Ortsgebiet waren dabei. Während dieser Anforderungserhebung konnten die Probandinnen und Probanden auch erstmals eine VR-Brille ausprobieren.

Gefühlszustände ermittelt

 „Menschen, die keine Erfahrung mit VR-Brillen haben, zögern beim ersten Kontakt. Diese Angst konnten wir durch gute Vorbereitung und erste Erprobungen nehmen“, erklärt Michael Gstöttenbauer, zuständig für Forschung & Entwicklung bei LIFEtool. Von besonderem Interesse waren für das Projektteam die Gefühlszustände der Probandinnen und Probanden. Fünf Menschen waren beeindruckt, vier gaben an, dass sie sich glüchlich und/oder zufrieden fühlten, weitere vier Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer sagten, dass sie sich frei fühlten.

Gefühlszustände während der VR-Erkundung

© LIFEtool
Quelle: LIFEtool

Studienergebnisse als Basis für Weiterentwicklungen

Für die Netural GmbH ist der im Projekt entwickelte Prototyp ein Grundbaustein für weitere Projekte im Bereich Virtuelle Realität und Demenz. „VR 4 Mind & Motion“ dient als Basis für eine mögliche Weiterentwicklung digitaler Tools im Bereich Gesundheit und Demenz und in der Medizintechnik. „Durch weitere Entwicklungen soll aus den derzeitigen Prototypen ein Produkt entstehen, das auf dem Markt etabliert werden kann. Dieses Produkt könnte in Pflegeheimen, teilstationären Einrichtungen, in der Reha sowie für den privaten Gebrauch genutzt werden und bietet eine gute Alternative zum Alltag an. Eine Weiterentwicklung im Bereich kognitives Training ist dabei nicht auszuschließen“, resümiert Robert Hartmann. Dieses Produkt könnte auch bei weiteren neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden, beispielsweise bei Menschen mit Schlaganfall.

VR 4 Mind & Motion: Die Projektpartner und ihre Rollen

Netural GmbH: Die Netural GmbH forscht und entwickelt intensiv im Bereich e-Health und medizinischer Technik. Die Schwerpunkte: Unterstützung in der nachhaltigen Änderung von Verhaltensweisen; Rehabilitationsunterstützung zuhause; Virtual Reality in Medizin und Training; digitales Gesundheitsmanagement; Entwicklung von Anwendungen für den Gesundheitssektor
www.netural.com

R’n’B Consulting GmbH: Die Projektrolle der R’n’B Consulting GmbH liegt in der Unterstützung der klinischen Bewertung. Das Beratungsunternehmen verfügt über Fachwissen in spezifischen Bereichen wie Risikomanagement, klinische Bewertungen und Gebrauchstauglichkeit.
www.rnb-consulting.at

LIFEtool gemeinnützige GmbH: LIFEtool entwickelte bereits mehr als 25 spezielle Lern- und Therapiesoftwareprogramme sowie technische Hilfen für Menschen mit Behinderung und Menschen im Alter, die mittlerweile in bis zu 14 Sprachen und 40 Ländern weltweit ihren Absatz finden.
www.lifetool.at

Volkshilfe Gesundheits- und Soziale Dienste GmbH: Aufgrund langjähriger Erfahrungen in der Begleitung, Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz sowie der Teilnahme an diversen Forschungsprojekten in der Vergangenheit stellte die Volkshilfe GSD GmbH die Probandinnen und Probanden und ihre umfassende Expertise zur Verfügung. Aufgabe der Volkshilfe war es, darauf zu achten, dass das Ergebnis praxisrelevant ist.
www.volkshilfe-ooe.at

amago GmbH: Das Filmproduktionsunternehmen produzierte die hochauflösenden Videos und den 360°-Video-Content für die VR-Brillen im Projekt. 
www.amago.at

Medizintechnik-Cluster: Der Medizintechnik-Cluster unterstützte den Gesamtprozess und koordinierte die Projektpartnertreffen, um den reibungslosen Projektablauf zu gewährleisten. Die Fortschritte und Ergebnisse des Projekts wurden laufend über Kundenmagazine, Newsletter und Social Media kommuniziert und der Publikums- und Fachpresse zur Verfügung gestellt.
www.medizintechnik-cluster.at