Grenzgang für Fortgeschrittene

Unternehmensführung mit Empathie und Weitblick

Elke Schüssler ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Vorständin des Instituts für Organisation an der Johannes Kepler Universität Linz. © Robert Maybach
Elke Schüssler ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Vorständin des Instituts für Organisation an der Johannes Kepler Universität Linz. © Robert Maybach

08.01.2020

Eine moderne Unternehmensführung mit Empathie und Weitblick versteht Kooperation und Kollaboration als Schlüssel zu langfristigem Erfolg. Mit dem richtigen Augenmaß und einem grenzgenialen Regulativ wohlgemerkt. Für Dr.in Elke Schüßler, Universitätsprofessorin an der Johannes Kepler Uni in Linz, ein Must-have-and-practice.

Wir haben das genauer hinterfragt.

Frau Prof.in Schüßler, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit und Forschung mit gesellschaftlichen Herausforderungen. Welche ist derzeit die Größte?

Aus meiner Sicht eindeutig der Klimawandel, flankiert von der wachsenden Ungleichheit. Wenn wir diese Probleme nicht in den Griff kriegen, eskalieren alle anderen großen Herausforderungen, so wie beispielsweise Migration, sauberes Wasser oder menschenwürdige Arbeit. Ein menschenwürdiges Leben ist dann nämlich für niemanden mehr möglich.


Apropos: Wie definieren Sie menschenwürdige Arbeit? Welche Rolle spielt (dabei) die Digitalisierung? Ist sie Fluch oder Segen?

Ich untersuchte dieses Thema vor allem im Kontext mit Entwicklungsländern, insbesondere durchleuchtete ich die Bekleidungsindustrie in Bangladesch. Stellen Sie sich vor: Weil ein Fabrikgebäude infach einstürzte, starben dort im Jahr 2013 mehr als 1.000 Menschen und weitere 2.000 wurden schwer verletzt. Obwohl die Risse im Gebäudekomplex sichtbar waren, zwang man die Näher/-innen, dennoch in dieser Fabrik zu arbeiten – mit verheerenden Konsequenzen. Die Arbeiter/-innen waren chancenlos, sich gegen die Anweisung des Managements zu wehren – nicht zuletzt deshalb, weil Gewerkschaften in Bangladesch politisch unterdrückt werden. Menschenwürdige Arbeit sieht anders aus und bedeutet das Gegenteil: Respekt vor fundamentalen Menschenrechten ebenso wie Arbeitssicherheit, ein gerechtes Einkommen, die Freiheit, sich kollektiv zu organisieren oder die Chancengleichheit von Frauen und Männern.

Menschenwürdige Arbeit ist aber nicht nur im Niedriglohnsektor und in Entwicklungsländern ein Problem. Auch hierzulande beutet man Arbeiter/- innen oft auf unterschiedliche Art und Weise aus oder behandelt sie menschenunwürdig – man denke nur an die Vorzeigeskandale wie die Mitarbeiterüberwachung in Lebensmitteldiscountern, die Todesfälle bei Amazon-Lagerarbeitern/- innen oder die hohe Suizidrate bei Investmentbankern/-innen.

Und puncto Digitalisierung: Natürlich bietet sie viele Chancen, zum Beispiel das Automatisieren müßiger, monotoner Arbeitsschritte oder das Homeoffice. Letzteres ermöglicht zumindest theoretisch besonders Eltern eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die Praxis zeigt aber leider ein anderes Bild: Statt Entlastung erfahren viele Menschen Beschleunigung, Überlastung und Überforderung durch ständige Erreichbarkeit – bei gleichzeitig sinkendem Lohnniveau und wachsenden Lebenshaltungskosten. Dies knechtet „Niedriglöhner“ ebenso wie die sogenannte Mittelschicht. Der Trugschluss, dass Technik unser Leben vereinfacht und wieder mehr Freizeit und Muße ermöglicht, kursiert tatsächlich schon lange.

Denken Sie nur an Bertrand Russells „In praise of idleness“, erschienen 1935. Die Digitalisierung schiebt diese Entwicklung gewaltig an. Sein Handy oder andere Geräte abzuschalten, grenzt mittlerweile schon an Luxus. Die Indizien deuten leider darauf hin, dass sich dieser Trend in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Dabei könnten neue intelligente Technologien sehr viel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Effizienteres Arbeiten könnte beispielsweise die 4-Tage-Woche wiederbeleben, eine massive CO2-Einsparung wegen des Rückgangs des Pendelverkehrs wäre
ein Echo davon. Ebenso die kürzere Laufzeit von Servern oder Klimaanlagen in den Büros.

 

Was bedeutet Kollaboration in der Arbeitswelt? Wie weit müssen sich Unternehmen öffnen, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Welche Dynamik kann entstehen, wenn Netzwerke ineinandergreifen und Synergien entstehen? Und wo sind die Grenzen?

Wir als Organisationstheoretiker/- innen würden sagen: Ein Öffnen der Organisationsgrenzen bedarf auch immer einer Schließung bzw. einer Festlegung von Grenzen. Ohne das eine ist das andere nicht möglich. Öffnen Betriebe beispielsweise ihren Strategieprozess oder praktizieren „open innovation“, ist es klug zu überlegen, welche Themen sie wann für welche Zielgruppen öffnen – sonst werden sie von Informationen, die sie gar nicht verarbeiten können, überschwemmt, was auf der Gegenseite Frust auslöst.

Auch interorganisationale Netzwerke und strategische Allianzen regeln durch klare Grenzen ihre Mitgliedschaften. Diese müssen natürlich von Zeit zu Zeit adaptiert werden. In unserer Forschung untersuchen wir kreative Kollaborationen in der Musik- und Pharmaindustrie. In der Tat wird es auch hier immer attraktiver, neue Organisationsformen wie Inkubatoren oder spezielle „Experimentierräume“ zu schaffen. Im Musikbereich spielen Online- Plattformen eine immer wichtigere Rolle. Doch auch hier zeigt sich, dass wirklich offene Kooperation nur dann entsteht, wenn auch ein gewisses Vertrauen zwischen den Menschen da ist – und dieses entsteht üblicherweise nicht in komplett offenen Räumen, sondern in jenen – physisch wie virtuell – in denen klare Regeln und Normen die Zusammenarbeit regulieren. Eines muss klar sein: Gerade in kreativen Segmenten kann man den vorherrschenden Wettbewerb niemals ganz ausschalten; muss man auch nicht, das Spannungsverhältnis von Wettbewerb und Kooperation muss allerdings ausgeglichen sein, was durch Management und Organisation immer wieder aktiv adressiert werden muss.

 

Sie untersuchen die Rolle unterschiedlicher Organisationsformen als Treiber von Kreativität und Innovation. Mit welchen Erkenntnissen? Gibt‘s die „optimale“ Organisationsform?

Wir untersuchen in unserem Forschungsprojekt ganz unterschiedliche Organisationsformen in unterschiedlichen Branchen und Kontexten: angefangen vom Pharma-Labor in Großunternehmen über Teams auf einem Forschungscampus bis hin zu Start-ups und Allianzen zwischen „Big Pharma“. Aber auch innovative Start-ups im Pharmabereich sowie Songcamps, Studios und Online- Plattformen fürs Songschreiben in der Musikindustrie.

Dabei blicken wir auch auf das institutionelle Umfeld, in das das Kreativschaffen eingebettet ist: Patent- und Copyrightanwälte/-innen beispielsweise und die strenge gesetzliche Regulierung der  Pharmaforschung. Aus unserer Sicht liegt es weniger an der Organisationsform – selbst Mitarbeiter/-innen in bürokratischen „Big Pharma“- Unternehmen können noch kreative Ideen hervorbringen. Allerdings schaffen sie es in diesem Kontext kaum, diese auch wirklich weiter bis zur Marktreife zu entwickeln, da risikoreiche Ideen von der Organisation ausselektiert werden. Egal in welchem  Kontext: Es braucht ein paar Pioniere, die von einer Idee überzeugt sind und diese – allen Widerständen zum Trotz – weiterverfolgen. Hierbei spielen bestimmte Praktiken des Organisierens eine wichtige Rolle. Beispielsweise ist es gerade in der Phase der Ausarbeitung einer Idee wichtig, diese vor äußeren Einflüssen und Kritik möglichst gut zu schützen und – um wieder auf den obigen Punkt zurückzukommen – klare Grenzen zu ziehen. Ein permanenter „Offenheitsdruck“, wie er beispielsweise durch „open offices“ erzeugt wird, ist der Kreativität und Innovation gar nicht dienlich. Viele Studien zeigen, dass gerade in „open offices“ – wegen zu viel Offenheit – Kooperationen oft verhindert werden. Auch hier braucht es wieder aktive Praktiken des Organisierens, durch die beispielsweise bewusst Interaktionen geschaffen werden.

 


 

Elke Schüßler ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Vorständin des Instituts für Organisation an der Johannes Kepler Universität Linz. Zuvor war sie Juniorprofessorin für  Organisationstheorie an der Freien Universität Berlin, wo sie 2008 zum Thema „Strategische Prozesse und Persistenzen“ promovierte. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Psychologie von der University of Sussex und  einen Master in Industrial Relations and Personnel Management, London School of Economics. Sie erforscht gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel, menschenwürdige Arbeit und  Digitalisierung. Sie ist Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Beiträge in führenden internationalen Fachzeitschriften.

Ihre Forschung wurde u. a. mit dem Academy of Management Journal Best Paper Award sowie mit dem Best Paper Award des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre (VHB) ausgezeichnet.