Lebensmittel und Kosmetika aus Tierfutter

Bäckermeister Reinhard Thurner testet die hochwertigen Bestandteile des Ölpresskuchens in seinen Backwaren
Bäckermeister Reinhard Thurner testet die hochwertigen Bestandteile des Ölpresskuchens in seinen Backwaren © Bäckerei Thurner
Extrakte aus Sonnenblumen liefern wertvolle konsistenzgebende Bestandteile für Kosmetikprodukte
Extrakte aus Sonnenblumen liefern wertvolle konsistenzgebende Bestandteile für Kosmetikprodukte © Velvety Manufaktur GmbH
Sonnenblumenernte
Aus Sonnenblumen lässt sich erstklassiges Öl herstellen © Ölmühle Raab
Portrait Patrick Schatzer, CEO Velvety Manufaktur GmbH
Patrick Schatzer, Geschäftsführer der Velvety Manufaktur GmbH © velvety
Thomas Raab, Eigentümer der Ölmühle Raab KG
Thomas Raab, Eigentümer der Ölmühle Raab KG © Ölmühle Raab
Portrait DI Heidrun Hochreiter, Managerin des Lebensmittel-Clusters der oö. Standortagentur Business Upper Austria
DI Heidrun Hochreiter, Managerin des Lebensmittel-Clusters der oö. Standortagentur Business Upper Austria © Business Upper Austria

13.10.2022

Aus Sonnenblumen lässt sich erstklassiges Öl herstellen – bei der Resteverwertung gibt es allerdings noch Potenzial. Die Presskuchen landen meist im Viehfutter. Das vom Lebensmittel-Cluster der oö. Standortagentur Business Upper Austria begleitete Projekt „SUN“ offenbart eine Vielfalt an Möglichkeiten der Resteverwertung. Die Palette reicht von Lebensmitteln bis zu Kosmetikprodukten.

Die Umsetzung ist komplex – das Ergebnis lässt sich dagegen einfach beschreiben: Die aus Ölpressresten gewonnenen wertvollen Proteine werden so aufbereitet, dass sie Lebensmittel und Kosmetikprodukte aufwerten können. Dazu zählen Eigenschaften, die von vielen Konsument:innen geschätzt werden: glutenfrei, vegan, verbesserte Lagerfähigkeit, natürliche Emulgatoren, antioxidative Eigenschaften. Im Projekt arbeiten die Firmen Ölmühle Raab KG, Velvety Manufaktur GmbH, Bäckerei Thurner und als Forschungspartner die Fachhochschule Oberösterreich Campus Wels zusammen.


Wertvolle Proteine gewinnen

„Ziel des Projektes ist, Proteine aus dem aktuell zur Tierfütterung verwendeten Sonnenblumenölpresskuchen zu extrahieren und höherwertig zu nutzen“, erklärt Heidrun Hochreiter, Managerin des Lebensmittel-Clusters.

„Im Gegensatz zur Sojapflanze hat die Sonnenblume keine allergene Wirkung. Diese und andere Eigenschaften machen sie zu einer optimalen Ölsaat, die auch geschmacklich überzeugt“, sagt Thomas Raab von der Ölmühle Raab KG aus Fraham.

Um sprichwörtlich die Spreu vom Weizen zu trennen, muss ein komplexer Herstellungsprozess entwickelt werden. So sollen mit den extrahierten Proteinen neue Lebensmittel- und Kosmetikprodukte mit gesundheitlichem Nutzen entstehen.


Umweltschonender Herstellungsprozess

Beim geplanten Herstellungsprozess zur Gewinnung der Proteine aus Sonnenblumenölpresskuchen soll eine Kombination aus Feststofffermentation und Membrantrenntechnik zum Einsatz kommen. Bei der Fermentation werden funktionelle Proteine durch die Stoffwechselprozesse der eingesetzten Mikroorganismen (Bakterien oder Pilze) umgewandelt und mittels Membrantrenntechnik angereichert. Membrantrennverfahren, die u. a. in der Milchindustrie eingesetzt werden, separieren Partikel nach Größe und Oberflächeneigenschaften. Das einzige Lösemittel, das zur Anwendung kommt, ist Wasser.

„Insgesamt ist der Herstellungsprozess zur Aufkonzentrierung und Abtrennung der Proteine von den übrigen Pflanzenbestandteilen ein umwelt- und ressourcenschonendes Verfahren, das ohne den Einsatz chemischer Produkte erfolgt“, bestätigt Bettina Zieher, Professorin für Lebensmitteltechnologie an der FH Wels.


Hochwertiger Bestandteil für Backwaren

Sonnenblumenproteine stabilisieren Emulsionen sowie Schaum und weisen je nach Prozess eine gewisse Wasserbindungs- bzw. Ölbindungsfähigkeit auf. Von besonderem Interesse sind Hydrophobine, kleine Proteine mit emulgierenden Fähigkeiten, die in der Lebensmittelproduktion im Segment „low fat“ eingesetzt werden können. Bei Backwaren werden durch das Protein die sensorischen Eigenschaften beeinflusst – wie Farbe, Geschmack, Aussehen, Festigkeit und Elastizität von Krume und Kruste sowie auch das Wasserrückhaltevermögen.

„Hochwertige Bestandteile des Ölpresskuchens können auf natürliche Art den Eiweißgehalt der Backwaren erhöhen, die Backeigenschaften verbessern und zu einer nachhaltigen Herstellung beitragen“, Reinhard Thurner, Inhaber der Bäckerei Thurner.


Schützende Wirkung

Bei den Kosmetikprodukten kann durch das Proteinisolat Einfluss auf die Wirksamkeit genommen werden sowie auf chemisch-physikalische Eigenschaften wie z. B. das Schmelzverhalten, die Schaumbildung, Hautverträglichkeit sowie den reinigenden Effekt, der auf die Emulgiereigenschaften zurückzuführen ist.

„Extrakte aus Sonnenblumen sind ein gutes Antioxidans und haben wertvolle konsistenzgebende Bestandteile für Kosmetik. Es ist leicht, klebt nicht auf der Haut und pflegt mild“, erklärt Patrick Schatzer, Geschäftsführer der Velvety Manufaktur GmbH.


Hunger in der Welt stillen

Sonnenblumensamen sind weltweit eine der meist angebauten Ölsaaten mit einer Gesamtproduktionsmenge von mehr als 50 Millionen Tonnen im Jahr 2020. Ölpresskuchen aus Sonnenblumenkernen sind sehr vielversprechende Rohstoffe für die Gewinnung von Proteinen. Mit dem Wachstum der Weltbevölkerung verschärft sich auch der Kampf gegen Hungersnot. Der Bedarf an Getreide als Lebens- und als Futtermittel wird für 2050 mit drei Milliarden Tonnen beziffert, das sind 40 % mehr als 2009. Darüber hinaus wird der Bedarf an wertvollen, proteinreichen und/oder fettreichen Lebensmitteln (Milchprodukte, pflanzliche Öle, tierische Fette) sehr wahrscheinlich noch viel schneller wachsen als der Bedarf an Getreide. Trotz dieser Entwicklung wird täglich ein Drittel der Weltproduktion an Lebensmitteln inkl. der proteinreichen Nebenprodukte der Lebensmittelherstellung vernichtet. Ein Großteil dieser Produkte stellt jedoch eine sehr wertvolle Quelle an Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten dar. Diese Zusammensetzung macht die Produkte somit sehr interessant für die weitere Verarbeitung und für das Recycling der Inhaltsstoffe zu Lebensmitteln, Pharma- oder Kosmetikprodukten. Aufgrund ihres Aufbaus aus teils essenziellen Aminosäuren und ihren funktionellen Eigenschaften sind insbesondere die Proteine von besonderem Interesse. Aus diesen Gründen ist es aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll, Proteine aus ausgewählten pflanzlichen Lebensmittelabfällen zurückzugewinnen.


Projektpartner

Bäckerei Thurner, Schwertberg:
Seit 1957 wird der Betrieb mittlerweile in dritter Generation geführt. Die Bäckerei Thurner beschäftigt zurzeit 42 Mitarbeiter an drei Standorten. Da auf Fertigmischungen weitgehend verzichtet wird, ist die Rezeptentwicklung ein wichtiges Thema in der Backstube.


Ölmühle Raab, Fraham:
Die Ölmühle Raab produziert im Jahr eine Masse von ca. 100 Tonnen Sonnenblumenölpresskuchen. Sie besteht seit nunmehr 17 Jahren. Mit sechs Beschäftigten werden Speiseöle aus 19 verschiedenen Ölfrüchten produziert.


Velvety Manufaktur, Neuhofen an der Krems:
Velvety ist ein privat geführtes Unternehmen mit Produktionssitz in Österreich. Die Kernkompetenz liegt in der Herstellung von handgemachter, fester Naturkosmetik in bester Qualität.


Studiengang Lebensmitteltechnologie und Ernährung der FH OÖ, Wels:
Der Studiengang ist am Campus Wels angesiedelt. Zurzeit sind ca. 170 Studierende im Studiengang inskribiert. Der Studiengang verfügt über die größte Forschungsgruppe innerhalb der Fachhochschulen und ist mit allen technischen Einrichtungen ausgestattet, um das Projekt zu unterstützen.

 

Dieses Projekt wird aus Mitteln der oö. Wirtschafts- und Forschungsstrategie #upperVISION2030 vom Land OÖ gefördert.

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